Stefanie Heinzmann „All we need is love“18214/1/
Albumbesprechung
Es gibt Phasen im Leben, da geht nicht mehr viel. Die Seele ist aufgerieben. Die Erschöpfung siegt über die Inspiration. Die Verbindung zur Welt will nicht gelingen. „Hello, it’s me again / sorry I took so long.“ Wenn Stefanie Heinzmann zum Auftakt ihres neuen Albums diese Zeilen singt, ist das nicht einfach so dahingesagt. Die Sängerin musste sich Zeit nehmen. Für sich. Für ihre Musik.
Wenn Stefanie im März 2019 ihren 30. Geburtstag feiert, erscheint parallel ihr nunmehr fünftes Album. Auf „All We Need Is Love“ erzählt uns die Popkünstlerin in zwölf ehrlichen, eindringlichen und ja, euphorisierenden Songs, wie sie ihre inneren Kämpfe gefochten hat und äußeren Erwartungen entwachsen ist. Wie sie ihr Leben in die Hand nimmt und optimistisch aufzuladen versteht. Eine gereifte Persönlichkeit mit klarer Botschaft: Leute, liebt! Liebt andere Menschen, die Veränderung, den Moment und vor allem – liebt euch selbst.
„All We Need Is Love“ – entstanden in Schweden, London und Hamburg – ist der Nachhall eines wahrhaftigen Prozesses: „Vor drei, vier Jahren fing ich an, alles anzuzweifeln: Was tue ich hier? Will ich das noch? Darf ich das überhaupt? Ich war einfach sehr, sehr müde“, erzählt Stefanie und schaut ganz gelassen durch ihre große Brille. In ihrer Heimat, dem Wallis, nahm sich die Künstlerin eine konsequente Auszeit. Und dann noch eine. Sich rausziehen, Handy aus, keinen Ton singen, schlafen, alles hinterfragen. Soll ich vielleicht doch Hebamme werden? Oder Schreinerin? Stefanie ruhte, wühlte und forschte so lange, bis sie die Zukunft wieder weit offen sah. Und sie entdeckte dann, was für ein Glück, die Magie der Musik neu für sich.
„Nach der Pause hatte ich eine Probe mit meiner Band, bei der ich ganz stark gespürt habe: Das ist genau das, was ich machen möchte“, sagt Stefanie. Doch wie sie das neuerdings alles macht, das hat sich geändert. „Ich hatte früher häufig Angst vor Entscheidungen. Jetzt höre ich viel mehr auf mich. Das ist manchmal hart, macht aber auch total Spaß.“ Solch ein Wandel geschieht nicht über Nacht, vielmehr in kleinen Schritten, wie sie in dem Song „Brave“ besingt. Eine Hymne darauf, dass ein bisschen Mut bereits ausreicht. Der Mut, sich nach und nach von alten Gefügen zu verabschieden. Der Mut, mit neuen Menschen zu arbeiten. Der Mut, sich Pausen zu gönnen. Und auch der Mut, sich verletzlicher zu zeigen.
Stefanie ist Musikerin durch und durch. Auch wenn sie das anfangs selbst nicht so ganz glauben wollte. Als Kind sang sie heimlich in ihrem Zimmer, bevor ihr Musiklehrer sie als Teenager entdeckte. Mit 14 nahm sie Gesangsunterricht, sang erst in Schülerprojekten und bald in ihrer eigenen Band – anfangs verdruckst auf den Boden blickend, dann immer mehr aus sich hinausgehend. Nach dem Abitur überlegte sie, Sekretärin zu werden. „Buchhaltung kann ich ganz gut.“ Doch dann gewann sie Stefan Raabs Castingshow. Anfang 2008 war das. Plötzlich Popstar. Machen, tun, nach dem Kalender leben. In die Charts aufsteigen, Preise erhalten. Keine Atempause.
„Das Debütalbum ‚Masterplan‘ war eine riesige Überraschung. Krass, cool – und ich latent überfordert. Bei der zweiten Platte ‚Roots To Grow‘ habe ich gemerkt: Ich muss auf mich aufpassen. Ich hatte eine Bandscheiben- und eine Stimm-OP. Dass Sängerin wirklich mein Job ist, begriff ich erst mit dem dritten Album ‚Stefanie Heinzmann‘. Sehr schön war das. Während ‚Chance Of Rain‘ habe ich dann wieder sehr viel mit mir gerungen. Bin ich gut und hübsch, dies und das genug? Eine super lehrreiche Phase.“ Und nun Nummer fünf: „All We Need Is Love“. Ein vielfältiges Album, das den Pop zeitgemäß auslotet. „Erwachsen werden, ankommen, weniger Druck“, skizziert Stefanie Songwriting und Produktion.
Innenschau und Empowerment sind die treibenden Kräfte auf „All We Need Is Love“. Stefanie hat gelernt, über sich hinauszuwachsen. Nicht im überheblichen Sinne. Sondern demütig und dankbar für die Liebe, die sie erfahren darf. Ja, genau: Liebe ist die Antwort auf ihre intensive Phase der Neuausrichtung. Allerdings weder im kitschigen Rosarot noch im stereotypen Schwarz-Weiß. Es geht um Liebe als bewusste Entscheidung in unserer überreizten, mitunter arg hassfixierten Gegenwart.
„Wir geben so gerne die Verantwortung ab: Der ist doof, die ist blöd, die Gesellschaft ist schuld. Natürlich gibt es wahnsinnig komplizierte Situationen. Aber häufig steht uns einfach die Angst im Weg etwas zu ändern“, erklärt Stefanie und packt diese Einstellung in Songs wie das beflügelnde „What I Do“. „Verliere ich mich in all den Schatten und breche zusammen oder atme ich drei Mal durch und denke mir: Ich lebe, es ist okay“, sagt Stefanie über das Lied „Shadows“, das nach einem Meditationsworkshop entstand. Und das in die Erkenntnis mündet: „All we gotta do is fall in love“.
Für „All We Need Is Love“ hat Stefanie sich sehr selbstkritisch mit ihren Vorstellungen von Liebe befasst: „Manchmal verzettele ich mich sehr darin, möglichst vielen Leuten gefallen zu wollen. In meinen Songs will ich mich jedoch auf die konzentrieren, die einen bedingungslos lieben, die keine Verletzungen aufrechnen – und die nicht über die neue Haarfarbe meckern.“
Ein äußerst intuitives Miteinander verbindet die Sängerin ebenfalls mit ihrer Band. Im Laufe von zehn Jahren hat sich eine familiäre Chemie entwickelt, die weltweit bei mehr als 500 Live-Shows zu spüren war. Zur langfristigen Besetzung gehören Moritz Stahl (Gitarre), Martin Ziaja (Bass), Patrick Fa (Schlagzeug) und Ephraim Salzmann. Mit dem Percussionisten spielt Stefanie seit ihrem 16. Lebensjahr zusammen, seit ihrer Zeit bei der Schweizer Mundartband BigFisch. „Ich bin sehr stolz, wie eingespielt diese Band ist. Und, dass es noch nie Zoff gab. Wir verbringen Wochen zusammen im Tourbus. Mir ist es wichtig, dass sich alle gegenseitig respektieren. Und, dass jeder seinen Freiraum hat.“
Mit ihrer Band hat sich Stefanie als eine Performerin entfaltet, die Emotionen herzenswarm leuchten lässt. Zu erleben ist das 2019 auf ihrer Clubtour durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und Luxemburg sowie auf diversen Sommerfestivals. Die Sängerin liebt es, den Menschen auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu begegnen. Musiziert hat sie bereits mit Größen aus Rock, Pop und Soul wie Joss Stone, Lionel Ritchie, Udo Lindenberg, Tower of Power und jüngst mit dem DJ Alle Farben für den Track „Build A House“. Als Synchronsprecherin leiht sie unter anderem Hundemutter Katie in den Animationsfilmen „Pets 1 & 2“ ihre Stimme. Und als Coach und Jurorin in TV-Formaten wie „The Voice Of Switzerland“, „Popstars“ und „KIKA – Dein Song“ wuchs sie in die Rolle der Mentorin hinein. Zudem engagiert sie sich bei UNICEF Schweiz sowie bei der Deutschen Kinderhospiz- Stiftung.
Unser Tipp: Die sympathische Schweizerin, die uns durch Stefan Raab bekannt ist, ist wieder da. Das neue Album ist frisch und ehrlich. Die Songs erzählen von ihren inneren Zweifeln, ob sie das Richtige tat bzw. tut. „Mothers´s heart“ berichtet von ihrer Jugend, auch den damaligen Problemen. Es lohnt, sich, die Texte auf sich einwirken zu lassen. Erste Auskopplung des Albums war „build a house“, der Song in Zusammenarbeit mit dem Deutschen DJ FARBENSPIEL, welcher in kurzer Zeit sich in den Charts positionierte. Wer ehrlichen aber auch frechen Pop mag, dem sei unser Album der Woche empfohlen. „All we need is love“ erscheint am 22.03.2019 bei BMG
http://www.stefanieheinzmann.de
Autor: Dr. Wolf Gust | Bilder: Benedikt Schnermann