Dido „Still On My Mind“ – Albumbesprechung18101/1/
Nach 5 Jahren Musik – Abstinenz nun wieder ein neues Album
Auf ihrem letzten Album war sie noch das „Girl Who Got Away“. Nach fünf Jahren Funkstille meldet sich Dido nun wieder zurück im Rampenlicht. Dido Armstrong ist für zwei der meistverkauften Alben in der Geschichte der britischen Charts verantwortlich; ihr 2000er Release „No Angel“ ist bis heute das weltweit meistverkaufte Debütalbum einer britischen Künstlerin. Insgesamt konnte die Sängerin und Songwriterin bisher über 40 Millionen Tonträgerverkäufe generieren.
„Eigentlich war es nie mein Plan, die Musik an den Nagel zu hängen“, so Dido. „Ich bin kein Mensch, der gerne Pläne macht oder längerfristig denkt. Ich kann nicht abschätzen, was nächste Woche sein wird. Oder nächstes Jahr. Dafür genieße ich die Gegenwart um so mehr. Ich liebe es, im Augenblick zu leben.“
Schon früh wurde Dido von ihrem gigantischen Erfolg buchstäblich mitgerissen. Ihre Karriere begann als Backgroundsängerin bei Faithless, der Band ihres Bruders Rollo. Schon bald machte sie sich einen eigenen Namen, als sie als Supportact für Faithless auf deren Tour zum 1996er Debütalbum zu sehen war. 1998 erschien schließlich ihr Solo-Erstling. Mit „No Angel“ konnte sie einen wachsenden Erfolg verbuchen, der sich langsam aber sicher steigerte und schließlich zum bestverkauften Album des Jahres 2001 entwickelte. Ein Zeitpunkt, zu dem Dido schon ständig kreuz und quer über den Globus tourte, 2003 das großartige „Life For Rent“ nachlegte und 2005 vor Milliarden Fernsehzuschauern in aller Welt einen bis heute unvergessenen Auftritt beim Live8-Festival performte. „Ich war neun Jahre lang ununterbrochen auf Tour. Dann habe ich den Stecker gezogen. Einfach so.“ Für Dido höchste Zeit, sich wieder dem wirklichen Leben zu widmen.
Auf dem 2008 veröffentlichten „Safe Trip Home“ präsentierte sich Dido von einer eher akustisch-orchestral geprägten Seite. „Ich liebe dieses Album. Es hat sich in meinen Augen als zeitlos bewährt.“ Trotzdem entschied sich die Britin gegen eine weitere Tournee. „Ich hatte mich gerade wieder in meinem Privatleben eingerichtet. Es war eine extrem befreiende Erkenntnis, dass ich einfach nur Musik machen konnte – und dass meine Fans auch auf eigene Faust davon erfahren würden.“
2008 trat Dido vor den Traualtar, ihr Sohn Stanley wurde im Jahr 2011 geboren. Mit „Girl Who Got Away“ erschien 2013 ihr nächstes Album, mit dem Dido ebenfalls nicht auf Tour ging. „Ich habe nur noch sehr verschwommene Erinnerungen an die Arbeiten zum letzten Album. Alle Songs wurden während meiner Schwangerschaft eingesungen. Es war irgendwie entzückend und ich wollte, dass die Leute diese Songs unbedingt hören. Also habe ich die Platte rausgebracht. Danach wurde mir klar, dass ich einfach nur Zeit mit meinem Kind verbringen wollte. Der einzige echte Gedanke für eine sehr lange Zeit.“
Mit ihrem Comeback überrascht Dido ihre Fans nun genauso, wie auch sich selbst. „Um ganz ehrlich zu sein, entstand diese Platte fast zufällig. Eines morgens wachte ich auf und hatte den Wunsch, wieder mit meinem Bruder Rollo zu arbeiten. Er ist der eigentliche Grund für meine Musikerkarriere. Wir sind ein tolles Team. Ich genieße seine Gesellschaft und wir funktionieren zusammen wie ein Uhrwerk. Wir haben eine tolle Zeit miteinander verbracht, sind mit den Hunden spazieren gegangen, haben über Musik und die Welt gesprochen und ganz nebenbei noch dieses Album komponiert.“
Bereits auf dem hypnotisierenden Opening-Track „Hurricanes“ beschwört Dido die unbezwingbare Kraft der Liebe, verbindet kunstvoll berührendes Songwriting und sanft fließende Beats. „Ich komme ursprünglich aus der Clubmusik. Ich finde es spannend, meine Songs aus einer bestimmten Atmosphäre heraus zu komponieren. Ich verwende wahnsinnig viel Zeit auf die Backingtracks, um gewisse Bilder zu erzeugen. Wie eine Art Kopfkino, das sich langsam zu einem Song entwickelt.“ Eine Arbeitsweise, die sie auch auf „You Don`t Need A God“ verfolgt, mit dem Dido eine eindringliche Hymne auf die Kraft der Musik erschuf.
Auf der fragilen Ballade „Give You Up“ berichtet Dido von der Situation, nach einer gescheiterten Beziehung wieder auf die Beine zu kommen. Einen Schlüsselsong ist „Have To Stay“, auf dem sie das sehr persönliche Thema Mutterliebe behandelt, ohne jedoch in allzu über-sentimentale Gefilde abzudriften. „Ich schreibe aus einer ganz neuen Denkweise heraus. Ich schätze, wenn man ein Kind hat, bewegt man sich in einer anderen Dimension… aus der man möglicherweise niemals zurückkehrt.“
Lange Zeit hatte Dido den Eindruck, nichts mehr zu ihrem bisherigen Schaffen hinzufügen zu können. „Ich glaube, ich schreibe über diese kleinen Momente, in denen Gegensätze aufeinander treffen. Es gibt immer eine helle und eine dunkle Seite. Wenn man ein Kind hat, fallen diese Gegensätze weg. Man liebt sein Kind, will es beschützen und seine ganze Zeit mit ihm verbringen. Das hat mich eine Zeit lang vom Schreiben abgehalten.“ Der Track dagegen wurde fast wie von selbst aus genau diesen entgegengesetzten, inspirierenden Emotionen geboren: Aus dem Zwiespalt, ihr Kind trotz oder gerade wegen ihrer Liebe eines Tages seinen eigenen Weg gehen zu lassen.
Ein Stück, das schon beim Probehören in ihrem Bekanntenkreis starke Emotionen hervorrief. „Es war lustig zu beobachten. Niemand, der selbst ein Kind hat, konnte sich beim Hören die eine oder andere Träne verkneifen. Selbst gestandene Männer, die mit einem Mal anfangen zu schluchzen.“ Nachdem sie die Arbeiten zu „Have To Stay“ abgeschlossen hatte, begannen ihre Ideen nur so zu fließen. „Ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Als hätte jemand die Schleusen meiner Kreativität geöffnet. Alles kam plötzlich zurück und rief eine Menge Emotionen in mir wach. Es gab so viele Dinge, die mich bewegten und über die ich sprechen wollte. Heute bin ich extrem stolz auf diese Songs.“
Mit „Still On My Mind“ veröffentlicht Dido am 8.03.2019 ihr fünftes Album in zwanzig Jahren. Ein Werk, das in einer Reihe mit ihren besten Alben zu verorten ist. „Ich wollte dieses Gefühl einfangen, das ich selbst habe, wenn ich Musik höre. Diesen besonderen Rausch, der einem das Gefühl gibt, total zufrieden zu sein und nichts anderes zu brauchen. Ich lebe ein Leben, das nur aus Musik besteht. Ich kann die Melodien in meinem Kopf hören. Musik bedeutet für mich Trost, Erregung, einfach alles. Und sie ist immer da für mich.“
Unser Tipp: Dido war mir mit ihrem Hit „White Flags“ ein Begriff, mir gefiel schon immer ihre fast filigran zu nennende Stimme. Das Album hat mich mitgenommen, es sind Stücke, die man leise nennen kann dabei, aber auch Tracks wie „Hurricanes“, die mit viel Kraft daher kommen. Einige der Stücke auf diesem Album erinnern mich an Enya und ihrem Hit-Album „Orinoco Flow“… Mein Album der Woche!
Text: Dr. Wolf Gust | Bilder: BMG Rights Management